
Was wie eine technische Vertragsänderung klingt, könnte den Alltag im Kreißsaal grundlegend verändern – für Hebammen, für Kliniken und vor allem für Gebärende. Und das ist erst der Anfang.
Eine Frau hat gerade entbunden. Ihr Neugeborenes liegt still in ihren Armen. Beide genießen den ersten Hautkontakt. Dann klingelt es an der Tür: Die nächste Schwangere kommt zur CTG-Kontrolle. Die Hebamme muss das Zimmer verlassen. In diesem Moment endet nicht nur die persönliche Betreuung, sondern auch die volle Vergütung entfällt. Denn nach dem neuen Hebammenhilfevertrag, der ab dem 1. November 2025 in Kraft tritt, darf die Geburtenpauschale nur dann vollständig abgerechnet werden, wenn zwei Stunden vor und zwei Stunden nach der Geburt eine ununterbrochene 1:1-Betreuung durch dieselbe Hebamme erfolgt. Für die zweite betreute Frau gibt es in diesem Fall nur noch 30 Prozent Vergütung. Für die Hebamme bedeutet das: doppelte Verantwortung, deutlich weniger Honorar.
Doch das ist nicht die einzige Änderung. Künftig erhalten Beleghebammen grundsätzlich nur noch 80 Prozent Vergütung für die Betreuung der ersten Frau. Selbst wenn die volle Leistung erbracht wird. Bei gleichzeitig betreuten Frauen sinkt der Anteil auf 30 Prozent (ab der zweiten) und null Prozent (ab der vierten). Das gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Geburt, eine Einleitung oder eine stationäre CTG-Kontrolle handelt. „Das ist weltfremd und ignoriert unseren Arbeitsalltag“, sagen die Hebammensprecherinnen am Barmherzige Brüder Krankenhaus St. Barbara Schwandorf Celine Michalke und Lena Jehl-Hüttner. „Gerade spontane oder schnelle Geburten lassen sich so gar nicht abbilden. Wir werden finanziell bestraft, wenn wir mehr als eine Frau gleichzeitig begleiten, obwohl das in Klinikstrukturen längst üblich ist.“
Rund 80 Prozent der Geburten in Bayern werden von freiberuflichen Hebammen betreut. Viele von ihnen arbeiten im sogenannten Belegsystem, bei dem sie eigenverantwortlich mit Kliniken zusammenarbeiten, aber freiberuflich bleiben. Für diese Hebammen ist der neue Vertrag ein harter Einschnitt. Zentrale Leistungen wie Geburtsplanungen, ambulante Kontrollen, Blutentnahmen oder die U1 entfallen künftig vollständig aus der Abrechnung. Nacht- und Wochenendzuschläge werden gekürzt, Leerlaufzeiten und Bereitschaftsdienste nicht berücksichtigt. Währenddessen dürfen angestellte Hebammen in Klinik-Kreißsälen weiterhin beliebig viele Frauen gleichzeitig betreuen – ohne Vergütungseinbußen.
Dr. Susanne Merl, Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Krankenhaus St. Barbara Schwandorf, sieht das kritisch: „Die kontinuierliche 1:1-Betreuung unter der Geburt ist kein Wunschtraum, sondern evidenzbasiert. Studien zeigen: Frauen, die unter der Geburt durchgehend betreut werden, erleben weniger Komplikationen, seltener Kaiserschnitte und fühlen sich sicherer.“ Doch der neue Vertrag ignoriert nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch die Realität in den Kreißsälen. Viele Hebammen arbeiten am Limit, viele haben den Kreißsaal bereits verlassen. Die neuen Vorgaben könnten diesen Trend weiter verschärfen. Leidtragende sind am Ende vor allem die Gebärenden.
Der Deutsche Hebammenverband fordert deshalb dringende Nachverhandlungen, transparente Vergütungsmodelle und die Anerkennung realer Arbeitsbedingungen. Für die Hebammen in Schwandorf steht fest: Sie wollen ihren Beruf weiterhin mit voller Verantwortung und Herzblut ausüben, aber nicht zu Bedingungen, die ihnen die Luft zum Atmen nehmen. Die Hebammen appellieren daher an die Bevölkerung: „Geht mit uns zusammen am 31. Mai in Regensburg auf die Straße und kämpft für eine faire Geburtshilfe! Zwischen 10 und 16 Uhr sind wir auf dem Neupfarrplatz – mit Infoständen, Aktionen und Gesprächen. Der Demozug startet um 14 Uhr. Jede Stimme zählt.“